10/22/1987 Stern
Von Punk Zu Disco
Daß ihn der Taxifaherer auf dem Weg zum Madison Square Garden für den Sänger der Vorgruppe hielt, freut ihn diebisch. Er sieht sowieso nicht aus wie ein Sexsymbol der achtziger Jahre: Mit leicht vorgeneigtem Kopf und hängenden Schultern schlurft Robert Smith, 28, Sänger der britischen Band The Cure, auf die Bühne der größten Konzerthalle Manhattans. Doch die 11000 Zuschauer in den ausverkauften Rängen jubeln dem Schlaffi begeistert zu.
Wie in New York werden The Cure ab Ende Oktobert in Deutschland die Arenen füllen. Denn seit sich die Gruppe passend zu ihrem neuen Doppelalbum « Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me » auch live vom düster dröhnenden Gruftraock auf freundliche Klänge umstellte, erreicht sie einen wesentlich größeren Kreis.
Die alten Fans, die im Original-Cure-Look mit kohlrabenschwarz umrandeten Augen, dunkelrot geschminktem Mund und schwarzer Gestrüppfrisur anreisen sind der Band trotzdem treu geblieben. « Wir sind eben etwas Besonderes, » erklärt Robert, « wir machen immer nur haargenau das, was wir wollen. Wiedamals, als wir 17 Jahre alte warren. »
In der Tat zieht sich eine unverhohlene, frische Agressivität durch ihre Musik. Diese unkommerzielle Eckigkeit ist aus den hypnotischen Punkklängen des Debütalbums « Boys Don’t Cry » von 1979 ebenso herauszuhören wie aus den gefälligeren, verträumtren Songs der letzten Jahre. Robert wechselt oft unvermittelt von depressivem Gejaule in übermütiges Jauchzen über. Und so todesschwanger die skurrilen Texte auch wirken mögen, eine Spur Humor haben sie immer.
Trotz dieses eigenen Stils wiesen sich The Cure auch stets also Chronisten der jeweiligen Zeitströmung aus. Chamäleongleich verwerten sie in ihrer Musik, was gerade angesagt ist: New Wave, Neoromantik, Neopsychedelic, Rhythm & Blues oder sogar Funk, wie auf der neuen LP. Daß sie sich auch auf tanzbare, leicht angejazzte Popstückchen verstehen, bewiesen The Cure 1983 mit ihrem Hit « The Love Cats ».
Ihre Texte können jedoch auch mißverstanden werden: Eine kanadische Bürgerinitiative prangerte jüngst den von der Camus-Novelle « Der Fremde » inspirierten Cure-Hit « Killing An Arab » als rassistisch an. Robert und seine Crew reagierten prompt und schoben nach der New Yorker Großveranstaltung noch ein Gastpiel in dem Musikclub The Ritz ein – als Benefizshow für arabische Waisenkinder.
Dieses politische Engagement bleibt eine Ausnahme. « Ich stehe so weit links, daß ich eh in keine Partei passen würde », versichert Robert lachend.
Am wohlsten fühlt er sich ohnehin, wenn er nach einer Tournee wieder vom aufgeblasenen Wave-Pop-Guru auf normale Ego-Größe schrumpfen darf: « Wenn ich nach Hause komme und meine Freundin mechkert, >meine Güte, Robert, was bist du wieder fett geworden<, dann ist für mich die Welt in Ordnung. »